Umgang mit Betroffenen

Orientierungshilfe für den Alltag

Die Bezugspersonen der Zwangserkrankten (Familie, enge Freunde etc.) werden sehr häufig in die Zwangshandlungen mit eingebunden. Sie müssen sich beispielsweise bestimmten Säuberungsritualen unterziehen, den Betroffenen immer wieder versichern, dass die Tür tatsächlich abgeschlossen ist oder mitzählen, ob eine bestimmte Tätigkeit auch wirklich die erforderliche Anzahl lang ausgeführt wurde.

Falls sich die Angehörigen darauf einlassen, verringert sich dadurch in vielen Fällen zunächst die Anzahl der Zwangshandlungen. Die Situation bessert sich aber nur scheinbar: Der Betroffene gibt dadurch nämlich die Verantwortung für eventuell eintretende Katastrophen ab. Auf diese Weise lernt er nicht, sich mit seinen Ängsten wirklich auseinanderzusetzen und diese auszuhalten. Langfristig schwächt diese Strategie deshalb sein ohnehin angeschlagenes Selbstbewusstsein und verstärkt die Zwangssymptomatik. Von daher ist es wichtig, den Betroffenen nicht ständig zu beruhigen und die Verantwortung für die Situation zu übernehmen. Auch, wenn das sicherlich sehr anstrengend ist und Nerven kostet.

Zwangsrituale laufen nach festen Regelnab – wird der Betroffene dabei durch Telefonklingeln, Zwischenrufe etc. unterbrochen, so muss er seine Rituale so lange wiederholen, bis alles „passt“. Aus diesem Grund machen ihn Unterbrechungen schnell aggressiv und wütend. Versuchen sie als Bezugsperson zu berücksichtigen, dass die Betroffenen unter einem großen Druck stehen.

Viele Familienangehörige können sich in ihrer Wohnung nicht frei bewegen, da sie bestimmte Bereiche nicht betreten oder bestimmte Gegenstände nicht berühren dürfen. Diese Tatsache empfinden die meisten als sehr belastend. Hinzu kommt häufig noch eine finanzielle Belastung – zum Beispiel hohe Wasser – und Stromkosten aufgrund stundenlanger Reinigungsrituale.

Verhaltensempfehlungen

Grundsätzliche Verhaltensempfehlungen sind natürlich nur ganz begrenzt möglich – da jede Familie anders ist. Als eine erste Orientierungshilfe können aber die unten stehenden Anregungen dienen.

  1. Geben Sie die Illusion auf, der Betroffene könne mit „Willenskraft“ oder „Disziplin“ seine Zwänge überwinden. Appelle wie „nun reiß Dich mal zusammen“ bringen ebenso wenig wie die Diskussion über Sinn und Notwendigkeit der Zwänge. Das löst bei den Zwangserkrankten, der sehr unter seiner Krankheit leidet, nur Schuldgefühle aus.
  2. Informieren Sie sich eingehend über die Erkrankung – zum Beispiel hier im Internet oder auch direkt bei der Deutschen Gesellschaft Zwangserkrankungen. Fragen Sie nach, ob es in ihrer Nähe Selbsthilfegruppen für Angehörige gibt. Je mehr sie über die Zwangserkrankung wissen, um so gezielter können sie den Betroffenen unterstützen.
  3. Versuchen Sie dem Betroffenen immer wieder deutlich zu machen, dass Sie seine Zwangssymptome – und nicht ihn oder sie als Person – zurückweisen.
  4. Zwänge entstehen nicht dadurch, dass jemand etwas falsch gemacht hat. Geben Sie deshalb möglichst weder sich – noch dem Betroffenen – die Schuld an der Störung.
  5. Bringen Sie den Betroffenen dazu, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Sie selber können die Rolle des Therapeuten nicht übernehmen.
  6. Versuchen Sie, Grenzen zu setzen und nicht ihren kompletten Alltag von den Zwängen bestimmen zu lassen. Treffen Sie auch weiterhin Freunde und vernachlässigen Sie Ihre Hobbys nicht.
  7. Unterstützen Sie den Betroffenen möglichst nicht bei seinen Zwangsritualen – auf lange Sicht verstärken und stabilisieren Sie dadurch das Zwangsverhalten.
  8. Loben Sie den Betroffenen für Fortschritte – und kritisieren Sie ihn nicht für  „Rückfälle“. Änderungen in der Stärke der Symptome – zum Beispiel eine entsprechende Zunahme unter Stress – sind vollkommen normal. Lob und Anerkennung sind wichtig, damit sich ein symptomfreies Verhalten verfestigen immer weiter durchsetzen kann.
  9. Lassen Sie die Erkrankung nicht zum Haupt-Familienthema werden! Planen Sie gemeinsame Aktivitäten, mit denen sich der Betroffene nicht überfordert fühlt.
  10. Es ist vollkommen normal, dass Sie ab und zu ärgerlich oder auch wütend sind.  Wichtig ist allerdings, wie Sie damit umgehen. Es ist besser, den Ärger zuzugeben als den anderen abzuwerten. Nimmt der Ärger jedoch Überhand, sollten Sie sich eventuell selber therapeutische Hilfe holen.
  11. Versuchen Sie, klare Absprachen zu treffen. Sagen Sie deutlich, was Sie können und wollen und was nicht.