Dermatillomanie (Skin Picking)

 

Was ist Dermatillomanie?

Der Begriff „Dermatillomanie“ setzt sich aus den griechischen Wörtern „derma“ für Haut, „tillein“ für Zupfen/Ziehen und „mania“ für Besessenheit zusammen. Andere Begriffe für das Störungsbild sind Skin-Picking-Störung und Exkoriationsstörung.

Dermatillomanie bezeichnet das wiederholte Kratzen, Zupfen oder Quetschen der Haut, was sowohl absichtlich als auch automatisiert ablaufen kann. Dabei kommt es zu erheblichen Beeinträchtigungen, die den Alltag der betroffenen Person bestimmen. Zudem führt die Manipulation der Haut häufig zu spürbaren Verletzungen und mit der Zeit auch zu Narben.

In der ICD-11 wird Dermatillomanie unter dem Namen Skin-Picking-Störung in der Kategorie „Zwangsstörung oder verwandte Störung“ aufgeführt

Wesensmerkmale der Störung

Die betroffenen Personen sind sich zwar ihres Verhaltens und dessen Folgen bewusst, können es jedoch nicht unterbinden. In den meisten Fällen (etwa 76 %) ist das Verhalten automatisiert. Die bewusste oder absichtliche Form hängt häufig mit dem Wunsch zusammen, das eigenen Hautbild zu verbessern und wird in vielen Fällen durch Akne ausgelöst. Andere Auslöser sind körperliche Anspannung, unangenehme Emotionen wie beispielsweise Ängste und die Umgebung, z. B. das genaue Untersuchen der Gesichtshaut im Spiegel. Einige Betroffene verwenden neben ihren Fingern auch Hilfsmittel, z. B. eine Pinzette, um ihre Haut zu manipulieren.

Betroffene Personen schämen sich oft für ihre Erkrankung und verbringen viel Zeit damit, die Verletzungen zu kaschieren. Eine weitere psychische Folge ist die Vermeidung von sozialen Kontakten und Intimität. Unter anderem, da die Erkrankung stark schambehaftet ist und viele Menschen nur wenig oder kein Wissen über Dermatillomanie haben, begeben sich weniger als 20 % der Betroffenen in Behandlung.

Viele Betroffene beschreiben eine Art Teufelskreis, welcher das Verhalten aufrechterhält. Das Manipulieren der Haut hat kurzfristige positive Folgen, da negative Gefühle und Gedanken wegfallen und ein Gefühl der Entspannung folgt. Langfristig gesehen führt dies jedoch zu einem stärkeren Drang, die Haut zu manipulieren und der Teufelskreis schließt sich.

Die Körperdysmorphe Störung ist mit einer Prävalenzrate von ca. 2% in der Gesamtbevölkerung eine häufige psychische Erkrankung. In spezifischen dermatologischen oder plastisch-chirurgischen Behandlungssettings liegt die Häufigkeit deutlich höher. Häufig beginnt die Körperdysmorphe Störung in der Pubertät im Alter von 15-16 Jahren.  Neuere Studien zeigen, dass eine beachtliche Anzahl der Patienten erste Symptome bereits während der Kindheit im Alter von 12 bis 13 Jahren entwickelt. Insgesamt sind etwas mehr Frauen betroffen als Männer. Das Geschlechterverhältnis liegt bei circa 60% betroffene Frauen und 40% betroffene Männer. Während sich Männer häufig um ihre Genitalien, Körperstatur und Haaransatz sorgen, steht bei den Frauen deutlich häufiger die Haut im Fokus. Generell sind die Körperbereiche die kontinuierlich für andere sichtbar sind (Haut, Haare, Nase..) die häufigsten Sorgenbereiche. Jedoch variieren die Körperbereiche, die im Zentrum der Beschäftigung und Sorge der Patienten stehen, stark. Die KDS ist unbehandelt eine tendenziell chronisch verlaufende Erkrankung mit geringen Spontanremissionsraten.

Häufigkeit und Erkrankungsalter

Es wird geschätzt, dass in etwa 1,9 – 2,1 % der Bevölkerung von Dermatillomanie betroffen ist. Im Alter von 4 bis 17 Jahren sind etwa 25 % betroffen, von denen 8,3 % von erheblichen Beeinträchtigungen berichten.

Das häufigste Erkrankungsalter liegt in der späten Kindheit und frühen Jugend (durchschnittliches Erkrankungsalter: 13,5 Jahre), besonders da in dieser Zeit Akne als gängiger Auslöser vorkommt. Dermatillomanie kann jedoch in jedem Alter auftreten.

Ursachen

Für die Entstehung einer Dermatillomanie gibt es nicht eine einzelne Ursache. Vielmehr handelt es sich um ein Zusammenspiel aus einer sensorischen, einer verhaltens- und einer psychologischen Komponente, die das Störungsbild hervorrufen. Risikofaktoren für die Entstehung einer Dermatillomanie sind trocknende, juckende und gereizte Haut, Hautunreinheiten, Kopfhautjucken und die eigene Haut nicht zu mögen. Aber auch die Bildung und Verfestigung einer Gewohnheit spielt eine Rolle. Wird die Verhaltensweise oft genug wiederholt, kann sie zu einem Ritual werden, welches fast automatisch abläuft. Dazu kommen dann psychische Faktoren wie Stress oder ein geringes Selbstwertgefühl.

Komorbidität

In vielen Fällen geht die Dermatillomanie mit einer weiteren psychischen Störung einher. In 65,4 % der Fälle liegt zusätzliche eine Onychophagie (Nägelkauen) und in 38,8 % eine Trichotillomanie vor. Affektive Störungen wie Depression (47 %) und generalisierte Angststörungen (19 %) sowie Persönlichkeitsstörungen (66,7 %) treten ebenfalls komorbide auf.

Erscheinungsbild

Die am häufigsten betroffenen Körperteile sind das Gesicht, die Finger, der Oberkörper sowie die Arme und Beine.

Da die Verletzungen, die in Folge einer Dermatillomanie auftreten, den Symptomen einer Hauterkrankung (beispielsweise Neurodermitis) ähneln, ist eine Unterscheidung sehr wichtig. Ein wichtiger Unterschied hierbei ist die unregelmäßige Verletzung der Haut an gut zugänglichen Stellen bei einer Dermatillomanie.

Die körperlichen Folgen haben unterschiedlich starke Ausmaße. In manchen Fällen kann es neben akuten und/oder kleine Wunden auch zu chronischen Verletzungen, starken Schmerzen, Hyper- und Hypopigmentierung und Narbenbildung kommen. Wenn sich Wunden entzünden und Infektionen entstehen, kann dies im schlimmsten Fall zu einer lebensbedrohlichen Blutvergiftung führen.

Therapie

Die Reaktionsumkehr (auch Habit Reversal Training; HRT) ist die am besten erforschte und erfolgreichste Therapieform für körperbezogene repetitive Verhaltensweisen. Diese verhaltenstherapeutische Methode hat zum Ziel, die dysfunktionale Verhaltensweisen (in diesem Fall die Manipulation der Haut) durch eine andere, konkurrierende Bewegung zu ersetzen. Nachdem das Bewusstsein für die eigenen Verhaltensmuster gestärkt wurden, wird im sog. Competing-Response-Training eine starre Verhaltensweise (z. B. das Ballen einer Faust) eingeübt und auf verschiedene alltägliche Situationen angewendet.

Selbsthilfe

Im Rahmen des HRT gibt es zusätzliche Selbsthilfetechniken. Diese umfassen unter anderem die Entkopplung und die Entkopplung „in sensu“. Bei der Entkopplung wird das schädigende Verhalten durch ein neues Verhalten „überschrieben“. Dabei wird die Bewegung zunächst nachgeahmt und dann kurz vor der Ausführung umgelenkt. Beispielsweise wird die Hand wie gewohnt zum Gesicht geführt und dann aber, kurz bevor es zur Manipulation der Haut kommt, umgelenkt. Hierbei sollte die Verhaltensweise eine Ähnlichkeit zum alten Verhalten ausweisen und möglichst mit Spannung ausgeführt werden.

Bei der Entkopplung „in sensu“ passiert der erste Schritt, also das Nachahmen der schädigenden Verhaltensweise in der Vorstellung. Sobald es dann aber fast zum schädigenden Verhalten kommt (z. B. kratzen der Haut), erfolgt ein Wechsel in die Realität und die neue Verhaltensweise wird durchgeführt.

Eine genaue Anleitung zu dieser und anderer Selbsthilfetechniken finden Sie hier: https://www.tricks-gegen-ticks.de/

Für viele Betroffene ist zusätzlich der Einsatz von „Zappelspielzeug“ (engl. fidget toys) hilfreich, um sich abzulenken und die Hände zu beschäftigen.

 

Autoren: Luca Hoyer und Steffen Moritz (UKE-Hamburg)