Pathologisches Horten

Definition

Menschen, die an pathologischem Horten leiden, haben den unwiderstehlichen Drang, große Mengen an Gegenständen zu sammeln und sich anschließend nicht mehr von diesen zu trennen. Häufig werden Dinge von geringem objektivem Wert oder praktischen Nutzen wie alte Zeitschriften, abgetragene Kleidungsstücke, defekte Elektrogeräte und Dekoartikel oder Verpackungen gehortet. Dies kann dazu führen, dass Räume völlig unzugänglich werden oder nur noch über kleine Durchgänge passierbar sind. Die Erkrankung bringt starke Einschränkungen der Lebensqualität mit sich und belastet in der Regel auch andere Haushaltsmitglieder.

Pathologisches Horten wird im DSM-5 als Zwangsspektrumsstörung, bzw. als zwangsnahe Erkrankung bezeichnet. Im ICD-11 wird pathologisches Horten als zwangsverwandte Störung betrachtet (6B24), während es im aktuellen ICD-10 noch den Zwangsstörungen zugerechnet wird.

Diagnose

Unter pathologischem Horten versteht man nach ICD-11 die Anhäufung von Besitztümern durch übermäßigen Erwerb oder durch Schwierigkeiten, sich von Gegenständen zu trennen – unabhängig von deren tatsächlichem Wert.

Von übermäßigem Erwerb spricht man, wenn Menschen wiederholt Impulse und Verhaltensweisen zeigen, die in Zusammenhang mit dem Kaufen oder Sammeln von Dingen stehen. Die Schwierigkeiten, sich von den Besitztümern zu trennen, äußern sich darin, dass Menschen es als notwendig empfinden, die Gegenstände zu behalten und die Entsorgung der Gegenstände als belastend erleben.

Entscheidend dabei ist, dass die Anhäufung von Besitztümern die Nutzung und Sicherheit der eigenen Lebens- und Wohnräume beeinträchtigt.

Außerdem führen die Symptome zu einer erheblichen Belastung oder Beeinträchtigung in persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.

Im ICD-11 wird außerdem unterschieden zwischen pathologischem Horten mit guter Einsicht (6B24.0) und pathologischem Horten mit geringer Einsicht (6B24.1). Bei guter Einsicht sind Betroffene in der Lage zu erkennen, dass die krankheitsbezogenen Überzeugungen möglicherweise überzogen sind. Sie wissen beispielsweise, dass sie nicht alle alten Zeitschriften aufheben müssen, damit sie keine Nachteile durch Informationsdefizite haben. Auch wenn sie bei Stress oder unter Angst möglicherweise ungünstige Ansichten zum Aufbewahren von Dingen entwickeln, können sie in ruhigeren Momenten wieder Abstand dazu finden. Bei geringer Einsicht sind Betroffene die meiste Zeit oder durchgehend überzeugt davon, dass ihre krankheitsbezogenen Überzeugungen wahr sind und können keine alternativen Erklärungen akzeptieren. Hierbei lässt sich auch keine Schwankung der Einsicht in Abhängigkeit von der aktuellen Befindlichkeit erkennen.

Verwandte Störungen

Pathologisches Horten ist mit der Zwangserkrankung im engeren Sinne verwandt, weil Betroffene ähnlich wie bei klassischen Zwangssymptomen immer wieder Dinge tun (exzessive Einkäufe, Ansammeln von Dingen), die sie mit Abstand betrachtet nicht sinnvoll finden, ohne ihr Verhalten aufgeben zu können. Anders als bei Zwangsritualen sind diese Verhaltensweisen allerdings mit Interesse und positiven Empfindungen verknüpft.

Umgangssprachlich wird pathologisches Horten oft auch mit dem „Messie-Syndrom“ (von „mess“, engl: Chaos, Unordnung) gleichgesetzt. Unter dem Messie-Syndrom versteht man jedoch genau genommen allgemeine Schwierigkeiten der Selbstorganisation, die sich in der Regel nicht nur auf die häusliche Ordnung beziehen: Auch das Einhalten von Terminen, die soziale Einbindung sowie das Umsetzen von Handlungsplänen im Allgemeinen sind hierbei beeinträchtigt. Menschen mit pathologischem Horten können hingegen nicht selten in vielen Lebensbereichen (z.B. Arbeit, Freizeitgestaltung, Sozialleben) auf hohem Funktionsniveau leben und erleben die Schwierigkeiten vorrangig in den eigenen vier Wänden. Dafür neigen Messies wiederum seltener zu  exzessivem Kaufverhalten als Menschen mit pathologischem Horten. Das Messie-Syndrom kann ganz unterschiedliche Ursachen haben.

Außerdem findet man bei einigen psychiatrischen Erkrankungen wie etwa Psychosen oder schweren affektiven Erkrankungen manchmal das sogenannte Diogenes-Syndrom („Vermüllungssyndrom“). Hierbei geht es jedoch eher um eine allgemeine Selbstvernachlässigung, die sich neben dem Wohnumfeld auch auf das körperliche Erscheinungsbild auswirkt, und die in der Regel mit starkem sozialem Rückzug und geringer Krankheitseinsicht verbunden ist.

Prävalenz– Alter–Geschlechterverteilung

Etwa jeder 22. Mensch in Deutschland ist von dem Störungsbild betroffen. Insgesamt ist pathologisches Horten unter älteren Menschen mit 6,2% häufiger zu finden als bei jüngeren Menschen (2,3%).  Darüber hinaus leiden etwa doppelt so viele Männer wie Frauen unter der Erkrankung.  

Die ersten Symptome pathologischen Hortens treten meistens schon im Alter von 12-13 Jahren auf. Ab Mitte dreißig erleben die meisten Betroffenen eine deutliche Beeinträchtigung im Alltag, die sich mit zunehmendem Alter dann weiter verstärkt.  Bevölkerungsbasierte Daten haben sogar gezeigt, dass die Prävalenz pathologischen Hortens mit wachsendem Alter alle fünf Jahre um etwa 20% zunimmt.

Etwa die Hälfte der Patientinnen leidet gleichzeitig unter einer depressiven Erkrankung, jeder dritte Betroffene ist von einer sozialen Phobie oder generalisierten Angststörung betroffen. Eine begleitende Zwangserkrankung findet man bei etwa jedem fünften Betroffenen.

Ursachen

Wie bei anderen psychischen Erkrankungen auch, scheint eine Kombination mehrerer Faktoren für die Entstehung von pathologischem Horten verantwortlich zu sein. Nach dem kognitiv-behavioralen Modell von Steketee und Frost gehören dazu ganz verschiedene Bausteine:

Oft sind der Erkrankung belastende Lebenserfahrungen wie beispielsweise der frühe Verlust wichtiger Bezugspersonen, ein Mangel an emotionaler Zuwendung oder zwischenmenschliche Konflikte vorausgegangen. Daraus können ungünstige Grundüberzeugungen entstehen, etwa die Vorstellung unzulänglich, unliebenswürdig oder verletzlich zu sein. Auch extreme Einstellungen wichtiger Bezugspersonen in der Kindheit (z.B. „in unserem Haus wird nichts weggeworfen“) können eine Rolle spielen. Nicht selten haben Betroffene schon früh die Erfahrung gemacht, dass es ihnen Geborgenheit, Schutz oder ein Gefühl der Identität verleiht, wenn sie sich mit vielen persönlichen Dingen umgeben.

Daneben sind oft Schwierigkeiten der Informationsverarbeitung von Bedeutung. So wurde in verschiedenen Studien nachgewiesen, dass Menschen mit pathologischem Horten häufiger leicht eingeschränkte Problemlösefertigkeiten haben, sich mit der Kategorisierung und Ordnung von Dingen schwerer tun, die Planung und Umsetzung von Handlungen weniger flüssig gestalten können oder leichte Schwierigkeiten im Bereich visuell-räumlichen Lernens und des Arbeitsgedächtnisses  haben.

Die Symptomatik wird dann oft von einer oder mehreren ungünstigen Ansichten über Gegenstände aufrechterhalten:

1. Die Gegenstände erfüllen einen vermeintlich wichtigen Zweck:
Betroffene können beispielsweise den Eindruck haben, ohne ihre Gegenstände die wichtigsten Erinnerungen an kostbare Momente in ihrem Leben für immer zu verlieren.

2. Die Gegenstände haben einen hohen emotionalen Wert:
Die Gegenstände können beispielsweise wie ein erweiterter Teil der eigenen Person oder geliebter Menschen empfunden werden, so dass eine enge Bindung an sie entsteht. Auch wenn sie bald nach ihrem Erwerb nur wenig Aufmerksamkeit bekommen und häufig zwischen anderen Dingen verstauben, wird ihr Verlust als sehr schmerzlich erlebt.

3. Die Gegenstände haben einen besonderen ästhetischen Wert:
Betroffene empfinden viele Gegenstände etwa aufgrund ihrer Farbgebung oder Oberflächenbeschaffenheit als einmalig und kostbar, so dass es sich für sie falsch anfühlt, sie wegzuwerfen

Aufgrund dieser Bedeutungen empfinden Betroffene beim Wegwerfen oder Verlieren von Gegenständen intensive negative Emotionen wie Traurigkeit, Ärger, Angst oder Schuld, während das Erwerben von Gegenständen mit starken positiven Emotionen wie Freude, Stolz und Geborgenheit verknüpft ist. Dadurch wird das pathologische Horten weiter verstärkt.

Da Verwandte ersten Grades deutlich häufiger unter pathologischem Horten leiden als Menschen, die keine Betroffenen im familiären Umfeld haben, geht man außerdem davon aus, dass eine Erblichkeit von etwa 50% besteht.

Therapie

Am besten überprüft ist der kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansatz von Steketee und Frost, der im Folgenden in Grundzügen vorgestellt wird. Die Psychotherapie orientiert sich dabei an den individuellen Faktoren, welche zum pathologischen Horten beitragen.

Für manche Patienten kann es wichtig sein, die emotionale Bindung an ihre Gegenstände zu verändern, indem sie die lebensgeschichtlichen Ursachen der intensiven Beziehung zu den Besitztümern bearbeiten und systematisch üben, Kaufverlockungen zu widerstehen. Dabei können sie zunehmend die Erfahrung machen, dass der Drang zum Erwerben der Dinge auch wieder abnimmt. Wenn die Gegenstände beispielsweise als Ersatz für menschliche Kontakte dienten, kann ein Fokus der Therapie auch darauf liegen, wieder befriedigende menschliche Beziehungen zu entwickeln. Interessanterweise werden die als wertvoll empfundenen Gegenstände von Betroffenen oftmals auch gar nicht beachtet und gepflegt, sondern gehen rasch inmitten anderer Gegenstände unter. Hier kann es wertvoll sein, gemeinsam zu überlegen, wie einzelne Besitztümer durch Entsorgung anderer Objekte tatsächlich zu angemessener Geltung gelangen können.

Außerdem ist es oft wichtig, ungünstige Überzeugungen in Bezug auf das Horten zu modifizieren. So kann zum Beispiel die Annahme „ich verrate meinen verstorbenen Vater, wenn ich Dinge von ihm verschenke“ gemeinsam näher betrachtet und durch eine realistischere Bewertung ersetzt werden. Auch konkrete Regeln im Umgang mit Gegenständen lohnt es sich zu hinterfragen. Wenn etwa ein Betroffener den Glaubenssatz verfolgt „Plastikverpackungen muss ich grundsätzlich aufbewahren – ich könnte sie noch brauchen“, kann es sinnvoll sein, Nutzen und Nachteile dieser Einstellung zu beleuchten, ihre Ursache zu verstehen und gemeinsam neue Regeln zu formulieren (etwa: „ich hebe nur noch so viele Plastikverpackungen auf, wie in eine große Küchenschublade passen“).

In diesem Zusammenhang kann es auch hilfreich sein, Probleme der Informationsverarbeitung zu beheben. Manchmal wird hierfür ein Planungs- und Organisationstraining durchgeführt, bei dem Betroffene beispielsweise lernen, ihre Aufräumaktionen in realistische Portionen zu unterteilen, Techniken zur Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit anzuwenden, Gegenstände sinnvoll zu kategorisieren und Handlungsschritte unter Festlegung genauer Zeitfenster sinnvoll zu planen. Auch die Entwicklung eines effizienten Ordnungs- und Aufbewahrungssystems kann hier von Bedeutung sein.

Ein wichtiger Baustein ist das Expositionstraining, bei dem man gemeinsam Ziele für das Wegwerfen von Gegenständen definiert und diese dann umsetzt. Dabei geht es darum, sich den schwierigen Gefühlen beim Entsorgen von Besitztümern zu stellen und die Erfahrung zu machen, dass diese mit der Zeit auch wieder nachlassen. Wertvoll für den Wegwerfprozess können zuvor entwickelte Entscheidungshilfen sein, wie etwa die Frage, ob der Gegenstand innerhalb des letzten Jahres vermisst wurde, ob ihm möglicherweise menschliche Eigenschaften unterstellt werden („er tut mir leid, wenn ich ihn wegwerfe“) oder ob er überhaupt qualitativ hochwertig ist. Manche Menschen finden es auch entlastend, einzelne Gegenstände in Fotos zu verewigen, ehe sie weggeworfen werden.

   

Die Abbildungen zeigen das Ergebnis einer Patientin aus einer Wegwerfaktion von Zeitschriften und Prospekten, die sich vor dem Bett stapelten. Sie benötigte dafür einen Samstag und freute sich anschließend über den neu gewonnenen Platz

Auch die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Erwerb neuer Objekte kann systematisch geübt werden. Nach dem Erstellen einer Hierarchie schwieriger Situationen können dann zunächst in Therapeutinnenbegleitung und später im Selbstmanagement relevante Orte wie Kaufhäuser, Flohmärkte oder Online-Verkaufsadressen mit bewusstem Verzicht auf den Erwerb der Ware aufgesucht werden. Als wichtig hat es sich erwiesen, alternative positive Aktivitäten im Alltag zu stärken, die anstelle der Kaufaktionen treten können. Auch beim Verzicht auf den Kauf können selbstgewählte Kriterien hilfreich sein, wie etwa die Frage, ob der Betroffene überhaupt über einen geeigneten Platz für den Gegenstand verfügen wird oder der Gegenstand wirklich seinen Alltag bereichern wird.

Da Menschen mit pathologischem Horten häufiger Schwierigkeiten haben, sich für den therapeutischen Prozess zu motivieren oder ausgeprägte Schamgefühle bzgl. therapeutenbegleiteter Exposition im häuslichen Umfeld haben, können ergänzend Techniken aus dem Motivational Interviewing nach Miller & Rollnick, einem Beratungsansatz zum Aufbau von Motivation, zum Einsatz gelangen.

Medikamentöse Behandlung

Medikamentöse Behandlung ist bei pathologischem Horten nur sinnvoll, wenn aktuell keine Psychotherapie verfügbar ist, die Möglichkeiten einer Psychotherapie ausgeschöpft sind oder zusätzlich eine schwere depressive Symptomatik vorliegt. Hier sind Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) die Medikamente erster Wahl.

Weitere Unterstützungsmöglichkeiten

Viele Betroffene profitieren davon, wenn die Psychotherapie durch psychosoziale Angebote ergänzt wird. Das können beispielsweise gemeindepsychiatrische Hilfen sein, das Haushaltsorganisationstraining der Caritas (wenn Kinder im Haushalt leben) oder die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe.

Wenn der Entschluss gefasst ist, große Mengen an Gegenständen zu entsorgen, können gelegentlich auch professionelle Entrümpelungsfirmen eine Unterstützung darstellen. Im Internet findet man in vielen Regionen Anbieter, die sich auf diese Thematik spezialisiert haben. Für viele Betroffene ist es wichtig, ein hohes Maß an Kontrolle über den Entsorgungsprozess zu behalten und den Mitarbeitenden genaue Anleitungen zur Vorgehensweise geben zu dürfen.

Für Angehörige

Auch für Haushaltsmitglieder von Betroffenen kann das pathologische Horten oftmals sehr belastend sein. Viele empfinden es als hilfreich, sich selbst Unterstützung zu holen, z.B. durch die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe für Angehörige (s.u.).

Umfangreiche Aufräum- und Entsorgungsaktionen ohne Absprache mögen gut gemeint sein, werden jedoch von Betroffenen aufgrund der engen Bindung an die Gegenstände meist als massiv belastend oder gar traumatisch erlebt; nicht selten sehen die Wohnungen kurze Zeit später wieder aus wie zuvor. Es ist daher umso wichtiger, überschaubare und schrittweise Ziele in gemeinsamer Absprache zu formulieren und für schwierige Situationen mit Unterstützung externer Hilfsangebote realistische Lösungen zu suchen.

Wichtige Adressen

Bundesweites Messie-Hilfe-Telefon (H-Team e.V.): 089-550 64 890

Selbsthilfegruppen für Angehörige von Menschen mit Messie-Syndrom:
http://www.angehoerige-messies.de/selbsthilfegruppen/

Adressen von Selbsthilfekontaktstellen für Betroffene:
www.nakos.de

Für die Schweiz:
Verein, der sich gegen das Messie-Syndrom einsetzt: https://www.lessmess.ch

Für Österreich sind noch keine überregionalen Seiten bekannt.

Hilfe

Deutsche Gesellschaft Zwangserkrankungen e.V.
Beratungstelefon: Montag bis Freitag von 10:00 bis 12:00 Uhr, Rufnummer: 040-689 13 700

Literatur

Anne Katrin Külz, Ulrich Voderholzer
Pathologisches Horten
‎Hogrefe Verlag, Göttingen 2018 / ISBN : ‎ 978-3801727857 / 95 Seiten / Preis: 19,95 Euro

Autorin: Dr. Anne Katrin Külz, Freiburg