Körperdysmorphe Störung

 

Das Störungsbild

Kernmerkmal der Körperdysmorphen Störung stellt die intensive, übermäßige Beschäftigung mit Makeln im Aussehen dar, die von anderen Personen nicht oder nur leicht wahrgenommen werden können. Dabei kommt es in der Regel zu repetitiven (zwanghaften) Verhaltensweisen wie Kontrollverhalten (Spiegelchecking, Vergleich mit anderen, Rückversicherungsverhalten), Vermeidungsverhalten und tlw. auch selbstmanipulativem Verhalten (z.B. Skin Picking). Häufig weisen Betroffene einen massiven Leidensdruck und große Einschränkungen in Ihrer Lebensgestaltung und psychosozialem Aktivitätsradius auf. Die Körperdysmorphe Störung ist dabei von anderen psychischen Störungen wie Essstörungen abzugrenzen.

Im Klassifikationssystem der American Psychological Association DSM V sowie in der aktuellen Version der ICD-11 der WHO wird die Körperdysmorphe Störung als eigenständige Störung zu den Zwangsstörungen und verwandten Störungen gezählt.

Epidemiologie

Die Körperdysmorphe Störung ist mit einer Prävalenzrate von ca. 2% in der Gesamtbevölkerung eine häufige psychische Erkrankung. In spezifischen dermatologischen oder plastisch-chirurgischen Behandlungssettings liegt die Häufigkeit deutlich höher. Häufig beginnt die Körperdysmorphe Störung in der Pubertät im Alter von 15-16 Jahren.  Neuere Studien zeigen, dass eine beachtliche Anzahl der Patienten erste Symptome bereits während der Kindheit im Alter von 12 bis 13 Jahren entwickelt. Insgesamt sind etwas mehr Frauen betroffen als Männer. Das Geschlechterverhältnis liegt bei circa 60% betroffene Frauen und 40% betroffene Männer. Während sich Männer häufig um ihre Genitalien, Körperstatur und Haaransatz sorgen, steht bei den Frauen deutlich häufiger die Haut im Fokus. Generell sind die Körperbereiche die kontinuierlich für andere sichtbar sind (Haut, Haare, Nase..) die häufigsten Sorgenbereiche. Jedoch variieren die Körperbereiche, die im Zentrum der Beschäftigung und Sorge der Patienten stehen, stark. Die KDS ist unbehandelt eine tendenziell chronisch verlaufende Erkrankung mit geringen Spontanremissionsraten.

Komorbide Erkrankungen

Der Großteil der Patienten mit Körperdysmorpher Störung leidet unter zusätzlichen komorbiden psychischen Erkrankungen. So zeigt sich bei bis zu 75% der Betroffenen eine Lebenszeitprävalenz für eine Major Depression. Hier scheint die depressive Erkrankung meist sekundär zur körperdysmorphen Störung aufzutreten.

Weitere häufige Komorbiditäten sind soziale Phobie (38%), Zwangsstörungen (33%), Essstörungen (ca. 30%) sowie Substanzmissbrauch und -abhängigkeit mit bis zu 40%. Auch für das überdurchschnittliche Auftreten von komorbiden Persönlichkeitsstörungen, insbesondere der unsicher-vermeidenden Persönlichkeitsstörung, gibt es gesicherte Hinweise. Hier rangieren die Häufigkeiten zwischen 40 und 72%. Dabei gehen zusätzliche komorbide Erkrankungen zusätzlich mit weitergreifenden Einschränkungen im psychosozialen Funktionsniveau der Patienten einher.

Diagnostik

Die Körperdysmorphe Störung sollte im Rahmen einer multimethodalen psychologisch-psychiatrischen Untersuchung diagnostiziert werden. Hier sollten neben einer ausführlichen Anamnese bestenfalls spezifische Interviewverfahren wie die BDD-Y-BOCS oder das BDDDM (Body Dysmorphic Disorder Diagnostic Module)  sowie Fragebogen zum Selbstbericht verwendet werden. Hier eignen sich der DCQ (Dysmorphic Cognition Questionnaire), FKS (Fragebogen Körperdysmorpher Störung) oder im deutsprachigen Raum auch der KDS-F. Zur Erfassung des Körperbilds kann unter anderem der ASI (Appearance Schema Inventory eingesetzt werden.

Therapie

Die Körperdysmorphe Störung ist eine mitunter schwerwiegende aber häufig gut zu behandelnde Erkrankung. Als hilfreich haben sich dabei Psychotherapie und psychopharmakologische Therapie erwiesen. Abzuraten ist von der Verwendung von Life-Style Medikamenten und (in den meisten Fällen) von plastisch-chirurgischen Eingriffen.

Psychotherapie

Das aktuell am besten empirisch gestützte Therapieverfahren stellt die kognitive Verhaltenstherapie dar. Metaanalysen belegen zum Teil hohe Effekte in der Verbesserung der störungsspezifischen Symptomatik und allgemeiner psychopathologischer Symptomatik wie Depressivität.

Folgende Behandlungselemente finden sich klassischerweise in einer kognitiv-behavioralen Verhaltenstherapie:

▶ Psychoedukation/ Erarbeitung eines Störungsmodells und Behandlungsrationals.

▶ Veränderung dysfunktionaler kognitiver Strategien und Schemata.

▶ Wahrnehmungstraining/ Veränderung ungünstiger Selbstaufmerksamkeitsprozesse.

▶ Verhaltensexperimente/ Exposition in vivo mit Reaktionsverhinderung.

Eine der ersten Interventionen stellt der Abbau selbstschädigender Verhaltensweisen sowie gegebenenfalls die Erarbeitung von Strategien zum Umgang mit starkem Selbsthass und suizidalen Gedanken dar. Besonders wichtig sind weiterhin der Abbau von Vermeidungsverhalten sowie störungsaufrecht- erhaltenden Sicherheitsstrategien. In den Fokus rückt zunehmend die Ausweitung des sozialen Radius und der Interaktionen mit anderen. Gezielte Verhaltensexperimente werden eingesetzt, um dysfunktionale Hypothesen und Befürchtungen vor allem in sozialen Situationen zu überprüfen. Im Rahmen von Expositionsübungen wird ein alternativer akzeptierender Umgang mit unangenehmen Emotionen erprobt, um so zu erlernen diese Situationen und Emotionen ohne den Einsatz ungünstiger zwanghafter Sicherheits- und Kontrollstrategien zu meistern. Zentral und spezifisch für die Therapie der KDS ist die Entwicklung eines ganzheitlichen, bewertungsfreien Körperbilds. Hierfür werden Spiegelkonfrontation aber auch Foto- und Videoübungen eingesetzt, um das Betrachten des gesamten Körpers und dessen Beschreibung zu üben sowie Hyperfokussierungen auf potentielle Makel zu verändern. Neuere Entwicklungen betonen ebenfalls die Förderung von Selbstmitgefühl und Selbstfürsorglichem Verhalten.

Medikamentöse Behandlung

Bislang gibt es nur recht wenige randomisiert-kontrollierte Studien zur pharmakologischen Behandlung der KDS. Auf Basis des aktuellen Wissenstands wird der Einsatz von SSRI’s als hilfreich angesehen. Dabei wird die KDS analog der Zwangsstörung mit hoher Dosierung behandelt und recht langer Wirkeintrittdauer.

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sich bei der Körperdysmorphen Störung um eine häufige und oft schwerwiegende psychische Erkrankung handelt. Häufig bleibt diese lange Zeit unerkannt bzw. Patienten erhalten erst spät adäquate Therapie. Dabei bietet eine spezialisierte Verhaltenstherapie eine vielversprechende Behandlungsoption für Betroffene.

 

Autor: Prof. Dr. Christian Stierle (Hamburg)