Welche Psychotherapie hilft?

Als bislang wirksamste Behandlungsmethode der ersten Wahl wird in der S3-Leitlinie Zwangsstörungen der DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde) die “Kognitive Verhaltenstherapie mit Exposition” genannt. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen haben bereits seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts, die Wirksamkeit dieser Methode immer wieder bestätigt.

Zu Beginn einer kognitiven Verhaltenstherapie steht die sogenannte Verhaltensanalyse. Therapeut und Patient erarbeiten, in welchen Situationen die Zwänge auftreten und mit welchen Gedanken und Gefühlen sie einhergehen.  Anschließend werden verschiedene Methoden eingesetzt, die dem Patienten helfen, einen Zwangsgedanken oder den Impuls zur Zwangshandlung, frühzeitig zu erkennen, sich davon zu distanzieren und die Zwangshandlung möglichst nicht auszuführen. Da diese Umsetzung den meisten Betroffenen sehr schwerfällt, besteht ein Kernstück der Behandlung in der therapeutenbegleiteten Exposition.

Ziel ist es, die zwangsauslösenden Situationen aufzusuchen und typische Zwangshandlungen wie waschen, kontrollieren, wiederholen, ordnen oder zählen zur Beruhigung und Angstlinderung nicht mehr auszuführen. So wird der Herd nur einmal oder auch keinmal angeschaut, bevor die Wohnung unverzüglich verlassen wird. Oder ein vermeintlich verschmutzter Gegenstand wird berührt und es erfolgt kein anschließendes, beruhigendes Händewaschen. Steigt die Angst zunächst tatsächlich an, so erlebt der Patient, dass mit der Dauer und den Wiederholungen dieser Übungen schließlich die Angst immer geringer wird. Zum einen ist eine Art Gewöhnungseffekt (“Habituation”) für das Nachlassen der Angst verantwortlich, zum anderen die Erfahrung, dass die befürchteten Konsequenzen (z.B. Herd bleibt an oder eine Krankheit bricht aus) nicht eintreten und der Patient sich in den vormals als hochgefährlich eingestuften Situationen nun ohne Angst erlebt (“Inhibitionslernen”).

Gemeinsam mit dem Therapeuten werden Übungen mit ansteigendem Schwierigkeitsgrad erarbeitet und dann in der realen Lebenssituation, in der Regel beginnend mit leichten Übungen, durchgeführt und therapeutisch begleitet. Bei aggressiven oder sexuellen Zwangsgedanken kann eine “Exposition in der Vorstellung” erfolgen. Dabei setzt sich der Betroffene gedanklich seinen schlimmsten Befürchtungen aus und erlebt mit der Wiederholung dieser Expositionen ebenfalls ein deutliches Nachlassen der Angst und die Einsicht, dass diese Gedanken nichts über seine Persönlichkeit oder seine Handlungsabsichten aussagen.

Viele Patienten mit Zwangsstörungen können von einer intensiven therapeutenbegleiteten Expositionsbehandlung profitieren. Diese kann ambulant in intensiver Form mit Blöcken von bis zu 3 Therapiestunden an mehreren Tagen hintereinander durchgeführt werden. Dies ermöglicht die wichtige Lernerfahrung, dass sich die Angstreaktion tatsächlich reduziert. Zudem kann sich der Patient einer fachlichen Unterstützung sicher sein, um sich auf diese für ihn zunächst belastende, aber letztlich erfolgversprechende Methode einzulassen. Besonders wichtig ist, dass sich der Patient für dieses Vorgehen selbst entscheidet und mit dem Therapeuten ein Bündnis zustande kommen kann mit dem Motto: “Gemeinsam gegen den Zwang!”.

Im Anschluss an diesen Expositionsblock ist es sehr wichtig, dass der Patient die Übungen alleine weiterführt. Dies wird in den Therapiesitzungen weiter unterstützt, aber auch zusätzliche Themen die den Patienten belasten, werden nun bearbeitet. Der Einbezug von Angehörigen zur Information und Aufklärung über das Störungsbild Zwangserkrankung erweist sich ebenfalls in vielen Fällen als hilfreich.

Ein Problem in der aktuellen realen Versorgungssituation stellt die Frage nach der Häufigkeit dar, mit der eine leitliniengerechte Exposition sowohl von ambulanten Psychotherapeuten als auch in stationären Einrichtungen in der gebotenen Intensität durchgeführt werden. Befragungen von ambulanten Therapeuten zeigen, dass nicht mehr als 20 % eine intensive, therapeutenbegleitete Exposition bei Zwängen durchführen. Für den Patienten bedeutet dies, bei der Suche nach einem Therapeuten die Bereitschaft zu einer solchen Exposition zu erfragen. Die Therapeutenliste der DGZ e.V. gibt hier eine Hilfestellung.

Stehen keine ambulanten Therapiemöglichkeiten für eine therapeutenbegleitete Exposition zur Verfügung und ist die Ausprägung der Zwangsstörung sehr hoch, bieten stationäre oder teilstationäre Spezialeinrichtungen die erforderliche Therapiemöglichkeit. Aus zahlreichen Rückmeldungen, die die DGZ von Betroffenen erhalten hat, geht hervor, dass sich solche Kliniken als besonders hilfreich erweisen, die spezialisierte Stationen für Menschen mit Zwangsstörungen vorweisen können.

In der Bundesrepublik sind ambulante Psychotherapeuten grundsätzlich in einer von zwei Therapierichtungen von der Krankenkasse zugelassen. Die oben beschriebenen Methoden fallen in den Bereich der “Verhaltenstherapie”. Den zweiten Schwerpunkt bilden die tiefenpsychologische fundierte Therapie und die psychoanalytische Therapie. Diese Verfahren gehen davon aus, dass der Zwangsstörung unbewusste Konflikte zugrunde liegen, die auf der Symptomebene der Zwangshandlungen und -gedanken ihren Ausdruck finden. Die Ursachen für diese Konflikte, deren Ursprünge in der Kindheit vermutet werden, herauszuarbeiten, zu lösen und damit die Zwangssymptome “überflüssig” werden zu lassen, ist das Ziel dieser Verfahren. Eine therapeutenbegleitete Exposition ist nicht vorgesehen. Da die Wirksamkeit dieser Methode bislang in wissenschaftlichen Studien nicht nachgewiesen wurde, wird in der S3-Leitlinie der DGPPN für diese Verfahren keine Empfehlung zur Behandlung der Zwangsstörung gegeben.

Wie wirksam sind neue Behandlungsmethoden?

In den letzten 15-20 Jahren haben sich eine Reihe von Verfahren entwickelt, die in der allgemeinen Psychotherapie zunehmend Verbreitung finden und auch in der Behandlung von Zwangsstörungen eingesetzt werden. Diese Verfahren zeigen in kontrollierten Studien in der Anwendung bei Zwangspatienten keine Überlegenheit gegenüber der klassischen Verhaltenstherapie mit Exposition (ACT, Achtsamkeit/Mindfulness Based Cognitive Therapy (MBCT). Zum Teil liegen bislang noch gar keine Wirksamkeitsnachweise anhand kontrollierter Studien vor (Metakognitive Therapie, Schematherapie, Compassion-Focused Therapy). Sie bieten also hilfreiche Ergänzungen und unterschiedliche Schwerpunktlegungen, können aber eine Expositionsbehandlung nicht ersetzen. Ob ein ambulanter Psychotherapeut eines dieser Verfahren anwendet, hängt zudem letztlich von dessen individuellem Fortbildungsinteresse ab, mit dem er seine grundsätzlich erlernte therapeutische Ausrichtung – Verhaltenstherapie oder tiefenpsychologisch orientiertes Verfahren (s.o.) – ergänzt. Im Rahmen einer stationären Behandlung in einer auf Zwangsstörung spezialisierten Einrichtung, werden diese Verfahren häufig mit der grundlegenden verhaltenstherapeutischen Vorgehensweise kombiniert. Im Folgenden eine kurze Darstellung dieser Verfahren:

Achtsamkeitsbasierte Verfahren (z.B. MBCT – Mindfulness-based Cognitive Therapy) verfolgen das Ziel, eine annehmende Haltung gegenüber den Zwangsgedanken aufzubauen und sich vom Inhalt der Zwangsgedanken nicht mehr irritieren zu lassen. Hier stehen Methoden im Vordergrund, die sich aus Meditations- und Entspannungsverfahren ableiten.

Die Akzeptanz-und-Commitment Therapie (ACT) leistet ebenfalls einen Beitrag zur Zwangsdistanzierung, betont aber zusätzlich die Bedeutung übergeordneter Werte für ein gelingendes Leben und fördert ein Heraustreten aus der oft einengenden Fokussierung auf den Zwang. Auch eine akzeptierende Haltung gegenüber belastenden Gefühlen wird angestrebt.

Die Metakognitive Therapie nimmt die Gedanken über die Gedanken unter die Lupe, daher der Begriff “Meta-Kognitionen”. So führt die Überzeugung, dass bereits das reine Denken eines Gedankens ein Unheil anrichten könnte oder bereits das reine Denken eines Gedankens ein schuldhaftes Vergehen darstellt, bei den Betroffenen zu starken Ängsten. Dies gilt besonders für die Bereiche aggressiver, sexueller oder religiöser Zwangsgedanken sowie Symptomen in der Folge “magischen Denkens”.  Mithilfe von Informationen, gemeinsamen Erörterungen aber auch Verhaltensexperimenten, z.B. gezielt einen zunächst neutralen Gedanken zu denken und dessen Einfluss auf die Wirklichkeit zu überprüfen, sollen diese hinderlichen Einstellungen verändert werden.

Diese drei Verfahren leisten auf ihre jeweilige Art und Weise einen wertvollen Beitrag in der Vorbereitung der Expositionsbehandlung, da sie helfen, die Zwangsgedanken nicht mehr für “bare Münze” zu nehmen, sondern sich von ihnen zu distanzieren. Zudem bieten sie dem Patienten eine Hilfestellung für den Umgang mit Zwängen im Alltag.

Die Schematherapie wiederum legt den Schwerpunkt auf die Betrachtung biographischer Besonderheiten, die die Entstehung der Zwangsstörung begünstigt haben könnten. Sie geht davon aus, dass in der Kindheit zentrale Grundbedürfnisse verletzt wurden und letztlich zu den Zwangssymptomen geführt haben. Die heutigen Auswirkungen dieser früh erworbenen Muster zu erkennen und sich in der Gegenwart von ihnen zu lösen, ist das Ziel dieser Therapiemethode.

Die Compassion-Focused Therapy richtet den Fokus auf negative Gefühle von Scham und Haltungen von Selbstabwertung und mangelnder Selbstfürsorge, das viele Patienten mit psychischen Störungen sich selbst gegenüber zeigen. Wieder ein positives Mitgefühl sich selbst gegenüber aufzubauen, wird in dieser Therapieform angestrebt.

Autor: Dipl.-Psych. Thomas Hillebrand (Münster)